BRRS Partner Markus Ritterrath erklärt vier entscheidende Einflussfaktoren
Im Jahr 2023 haben bislang auffällig viele und auch große Pflege- und Seniorenheime Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, wie Ende Januar 2023 die Convivo Unternehmensgruppe. Auch Markus Ritterrath, BRRS Partner und Standortleiter in Bonn, wurde zum Insolvenzverwalter in einem Senioren- und Pflegeheim bestellt, das leider nicht fortführungsfähig war. Das ist kein Einzelfall – und es gibt dafür besondere Gründe, die Markus Ritterrath in diesem Artikel erklärt.
Vier Faktoren bestimmen die Krise in der Pflegebranche
Der Pflegebereich hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Vier entscheidende Faktoren haben sich verschärft oder gewandelt, mit denen sich jede Einrichtung auseinandersetzen muss.
Faktor 1:
Inflation und Preissteigerungen
Faktor 2:
Pflegereform
Faktor 3:
bürokratische Erfordernisse
Faktor 4:
Fachkräftemangel
Höhere Kosten belasten stark
In Deutschland haben wir aktuell eine Inflation, sodass allgemein die Preise gestiegen sind. Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Nebenkosten teilweise deutlich gestiegen. Im vergangenen Winter wurde dazu angehalten, weniger zu heizen und Ressourcen einzusparen. Das Umweltbundesamt hat zur Kosteneinsparung empfohlen, die Raumtemperaturen im Winter tagsüber auf 17 bis 20 Grad zu reduzieren. Das ist in einem Senioren- und Pflegeheim nicht möglich und würde zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Bewohner:innen führen. Zu den gestiegenen Nebenkosten kommen auch weitere Kostenerhöhungen dazu. So ist bspw. auch der Bezug von Essen in solchen Einrichtungen reglementiert. Es kann nicht jeder Caterer liefern, sondern nur besonders für den Gesundheitsbereich zertifizierte Zulieferer. Dementsprechend müssen die Einrichtungen erhöhte Kosten tragen.
Lohnsteigerungen und mehr Personal
Hinzu kommt die Umsetzung der Pflegereform, die einen wesentlichen Kostenerhöhungsfaktor darstellt. In der Corona-Pandemie ist nochmals deutlich geworden, wie wichtig und existenziell die Pflegebranche ist. Dementsprechend wurde mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) eine schrittweise Erhöhung der Pflegelöhne beschlossen. Die Lohnkostensteigerung liegt bei knapp 20%. Außerdem wurde der Personalschlüssel verändert. Wo bislang beispielsweise eine Fachkraft pro Schicht verpflichtend anwesend sein musste, müssen nunmehr zwei Fachkräfte arbeiten. Dies führte neben den erhöhten Lohnkosten auch zu der Notwendigkeit, weiteres Personal einzustellen. In Anbetracht des Fachkräftemangels waren Neueinstellungen jedoch nur begrenzt möglich. Die Maßnahme ist für Personal und Bewohner sinnvoll, führt insgesamt jedoch zu nicht unerheblichen Mehrkosten für die Einrichtungen.
Bürokratie und Verhandlungen zu Pflegesätzen
Die Pflegesätze wurden letztmalig im Jahr 2017 angehoben und insbesondere im Zuge der beschlossenen Pflegereform nicht nach oben angepasst. Es ist einer Einrichtung nicht möglich, die Unterdeckung an die Bewohner:innen weiterzugeben und ihre Preise frei festzulegen. Hierzu ist zuvor ein Verfahren zu durchlaufen, welches mit bürokratischem Aufwand und Kosten verbunden ist. Die Kosten müssen mit den Pflegekassen und Sozialhilfeträgern nach dem fest vorgeschriebenen Pflegesatzverfahren gemäß § 85 SGB XI sowie des Wohn- und Betreuungsgesetz (WBVG) individuell neu ausgehandelt werden. Hierzu sind zusammengefasst gestiegene Kosten darzulegen sowie Maßnahmen in allen Tätigkeitsbereichen der Vergangenheit aufzuzeigen. Wenn sich alle Seiten einigen, werden die veränderten Sätze für Pflege, Wohnraum und Verpflegung in den so genannten Pflegesatzvereinbarungen festgehalten. Ansonsten kommt es zu einem Schiedsverfahren vor den Landesämtern. Das Verfahren ist nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern dessen Ausgang auch offen. Neben einer Ablehnung der Preiserhöhung kann es an dessen Ende sogar zu einer Kürzung der bisherigen Leistungen kommen.
Pflegenotstand und Fachkräftemangel
Seit Jahrzehnten ist der Pflegenotstand ein wiederkehrendes Thema in Deutschland. Bereits in den 1980er Jahren wurde hierüber viel gesprochen und entgegengewirkt. Während der Corona-Pandemie ist die Pflegebranche erneut in den Fokus geraten. Die im Anschluss verabschiedete Pflegereform soll gerade einem Pflegenotstand entgegenwirken. Durch höhere Vergütung und einen besseren Personalschlüssel sollen mehr Menschen für eine Tätigkeit in der Pflegebranche begeistert werden. Soweit die Theorie.
In der Praxis ist es deutlich komplexer: Qualifiziertes Personal wird überall gesucht und benötigt, so auch in der Pflegebranche. In manchen Regionen verschärfen Zeitarbeitsfirmen bzw. Unternehmen, die sich auf Arbeitsüberlassung spezialisiert haben, die Lage. Die Zeitarbeitsfirmen beschäftigen Fachkräfte und bezahlen diese übertariflich. Die Pflegeeinrichtungen müssen die Fachkräfte sodann zu erhöhten Preisen von den Unternehmen ausleihen. Über die dargestellten Vorgaben entsteht so eine Abhängigkeit der Pflegeeinrichtungen von Zeitarbeitsfirmen, über welche Personal zu stark erhöhten Kosten bezogen werden muss. Ohne Vorhalten des gesetzlich vorgeschriebenen Fachpersonals, insbesondere auch über Nacht und an den Wochenenden, ist nicht nur die Zulassung als Pflegeeinrichtung in Gefahr. Vielmehr können, wenn Personal fehlt, erhebliche Schäden für die Gesundheit der Bewohner:innen nebst anschließender Haftungsfragen auftreten. Ein Abwerben des Personals durch die Einrichtungen ist nicht möglich. Einerseits zahlen die Zeitarbeitsfirmen besser. Andererseits besteht bei externen Arbeitnehmern nicht selbiges Weisungsrecht des Arbeitgebers wie bei eigenem Personal. Aufgrund des gesetzlich vorgeschriebenen Personalschlüssels, um die fachgerechte Pflege der Bewohner zu gewährleisten, haben die Einrichtungen jedoch keine Alternative, dieses Personal teuer einzukaufen.
Die Lösung für die Zukunft?
Der Pflegebereich wird und ist von der Allgemeinheit mitzufinanzieren. Der erhöhte Pflegebeitrag muss jedoch bei den Einrichtungen ankommen und die Pflegesätze erhöht werden. Eine Vereinfachung und Verstraffung des bürokratischen Aufwandes wäre zudem wünschenswert.