BRRS Rechtsanwälte, Ribnitz-Damgarten, im Oktober 2020
Nils Eggers, Rechtsanwalt und Partner bei BRRS Rechtsanwälte in Ribnitz-Damgarten, beantwortet Fragen, die sich im Moment viele Menschen stellen: Wie geht es weiter mit der Insolvenzantragspflicht? Was ist 2021 zu erwarten? Wird es wieder mehr Insolvenzen geben? Was erlebt der erfahrene Insolvenzverwalter in 2020 als besonders?
Wie erleben Sie das Jahr 2020 als Insolvenzverwalter im hohen Norden Deutschlands – was sind Besonderheiten, die Sie bisher noch nicht so kannten?
In vielen Wirtschaftsbranchen erleben wir einen in dieser Form noch nicht gesehenen Einbruch. Trotz der Krise gehen die Insolvenzzahlen stark zurück. Die Corona-Krise hätte an sich gegenläufige Insolvenzzahlen erwarten lassen. Neben anderen Faktoren haben aber Maßnahmen des Gesetzgebers entgegengewirkt, insbesondere die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sowie die geplante Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens für natürliche Personen.
Sie haben es schon erwähnt: Aufgrund der Coronapandemie wurde die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Was bedeutet das eigentlich genau?
Bis zum 29. Februar 2020 galt folgendes: Nach der Insolvenzordnung (§ 15a) waren die organschaftlichen Vertreter u.a. von juristischen Personen (z.B. Aktiengesellschaft, Gesellschaft mit beschränkter Haftung) verpflichtet, bei Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen. Der Insolvenzantrag war ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu stellen. Wer die Verpflichtung zum Insolvenzantrag verletzte, machte sich strafbar. Diese Insolvenzantragspflicht hat der Gesetzgeber als Reaktion auf die Corona-Krise ab dem 1. März 2020 ausgesetzt. Das Gesetz hat den Titel „Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz“. Nach § 1 dieses Gesetzes ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bis zum 30. September 2020 ausgesetzt worden. Die Aussetzung ist von zwei Voraussetzungen abhängig. Sie gilt nicht, wenn die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht. Die Aussetzung gilt auch dann nicht, wenn keine Aussichten bestehen, eine eingetretene Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
Mit anderen Worten: Es sollen diejenigen Unternehmen geschützt werden, die aufgrund der Pandemie unverschuldet in eine wirtschaftliche Krise geraten sind. Diesen Unternehmen soll während der Pandemie durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht die Möglichkeit gegeben werden, sich zu behaupten.
Nicht suspendiert war und ist das Antragsrecht. D.h. das Unternehmen muss nicht, kann aber Insolvenzantrag bei Vorliegen eines Eröffnungsgrundes (Zahlungsunfähigkeit, drohende Zahlungsunfähigkeit sowie Überschuldung bei juristischen Personen) stellen.
Es wird diskutiert, diese Regelung nochmals nach hinten zu verschieben, den Unternehmen also noch länger die Möglichkeit zu geben, keine Insolvenz anzumelden, auch wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Was halten Sie davon?
Im Falle der Überschuldung bleibt die Insolvenzantragspflicht bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt. Wenn also die Verbindlichkeiten das Vermögen übersteigen, muss bis Jahresende 2020 kein Insolvenzantrag gestellt werden. Anders verhält es sich seit dem 1. Oktober 2020 bei Zahlungsunfähigkeit. Wer seine Zahlungspflichten nicht erfüllen kann, für den gilt wieder die bisherige Pflicht zur Antragstellung. Diesen schrittweisen Übergang in Richtung eines insolvenzrechtlichen Normalzustandes halte ich für den richtigen Weg. Denn die Gläubiger müssen darauf vertrauen können, dass die Geschäftspartner ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen.
Was würden Sie Unternehmen raten, die aktuell vor der Wahl stehen, Insolvenz anzumelden oder es zu verschieben?
Die Erfahrung zeigt, dass späte bzw. aufgeschobene Insolvenzanträge die Chancen, ein Unternehmen zu retten, verschlechtern. Von daher ist Unternehmen, die vor dieser Frage stehen, eine zügige, belastbare und kritische Prüfung ihrer finanziellen Lage sowie der zukünftigen Aussichten zu empfehlen.
Was wird aus Ihrer Sicht passieren, wenn die bisher übliche Insolvenzantragspflicht wieder gilt?
Viele Experten sprechen davon, dass eine Pleitewelle droht. Aus heutiger Sicht wird es – wenn es nicht zu einer weiteren Aussetzung kommen sollte – ab dem 1. Januar 2021 auch wieder die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung geben. Daher ist damit zu rechnen, dass die Insolvenzanträge mit dem Auslaufen der Maßnahmen wieder zunehmen. Bei der Entwicklung der Insolvenzzahlen wird viel davon abhängen, wie sich die Pandemie entwickelt und welche Wirkung die dagegen ergriffenen Maßnahmen zeigen.
Die Zahl der Insolvenzanträge von Verbrauchern:innen wird in jedem Fall steigen, vermutlich stärker als Anträge von antragspflichtigen Unternehmen. Nach dem bisherigen Insolvenzrecht haben natürliche Personen die Möglichkeit, sechs Jahre nach Insolvenzeröffnung die Restschuldbefreiung zu erhalten. In Umsetzung einer EU-Richtlinie plant der deutsche Gesetzgeber, diese Frist auf drei Jahre zu verkürzen. Das Gesetzesvorhaben ist seit Anfang 2020 bekannt. Seit dem Bekanntwerden sind Insolvenzanträge von Verbrauchern:innen deutlich zurückgegangen. D.h. viele Verbraucher:innen haben bisher im Jahre 2020 von Insolvenzanträgen abgesehen, um nicht erst nach sechs Jahren, sondern bereits nach drei Jahren die Restschuldbefreiung zu erhalten. Nach dem Inkrafttreten des Gesetztes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens ist daher mit einer deutlichen Zunahme von Insolvenzanträgen von natürlichen Personen, insbesondere von Verbrauchern:innen, zu rechnen.
Wie schätzen Sie das Jahr 2021 ein? Wird es eine Rezession geben? Wird es wieder mehr Insolvenzen geben? Wer wird stärker betroffen sein aus Ihrer Sicht – die Unternehmen oder die Privatschuldner?
Die Entwicklung ist insbesondere davon abhängig, welchen Verlauf die Corona-Pandemie nehmen wird. Wenn beispielsweise ein Impfstoff zur Verfügung steht, werden in der Folge auch die Beeinträchtigungen der Wirtschaft durch Infektionsschutzmaßnahmen zurückgehen.
Nachdem die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausgelaufen ist, werden Anträge von Unternehmen wieder zunehmen, damit rechnen wir Insolvenzverwalter fest.