Jutta Rüdlin diskutiert bei BDU/Distressed Ladies zu aktuellen Entwicklungen im europäischen Insolvenzrecht

Königswinter/Melsungen, 08. März 2024: Anfang März nahm BRRS-Partnerin Jutta Rüdlin auf der Fachkonferenz Sanierung 2024 auf dem Petersberg an der Podiumsdiskussion „Aktuelle Entwicklungen im europäischen Insolvenzrecht“ der Veranstaltung „Fachkonferenz Sanierung“ teil.

Ausgerichtet wurde die Konferenz vom Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen (BDU) in Kooperation mit den Distressed Ladies e. V. – Women in Restructuring, einem Verein für Expertinnen aus den an der Unternehmensrestrukturierung und -sanierung beteiligten Disziplinen, in dem auch Jutta Rüdlin Mitglied ist.

Neben Jutta Rüdlin gestalteten die Podiumsdiskussion Sylvia Fiebig, Partnerin bei White & Case, Fachanwältin für Insolvenz- und Sanierungsrecht und Insolvenzverwalterin, Alexander Bornemann, Regierungsdirektor und Referatsleiter im Bundesministerium der Justiz sowie Oliver Kehren, Managing Director und Board Member Morgan Stanley Bank AG und Vorstandsvorsitzender Gesellschaft für Restrukturierung TMA Deutschland e. V.

Es moderierten Burkhard Jung, Vorsitzender des BDU-Fachverbands und Dr. Gesa Pantaleon gen. Stemberg, Vorstand der Distressed Ladies e. V.

Die Expertenrunde diskutierte über drei Themenkomplexe, die sich um den Entwurf der „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts“ drehten:

  1. Brauchen wir eine Harmonisierung des Insolvenzrechts in Europa und welches Interesse verfolgt die EU damit?
  2. Zentrale Punkte des aktuellen Richtlinienentwurfs COM (2022) 702
  3. Die einzelnen Regelungen im Detail

Akzeptiert: die europäische Agenda zur Umsetzung der Kapitalmarktunion

In der Begründung der Europäischen Kommission zum Richtlinienentwurf wird als zentraler Punkt das Fehlen harmonisierter Insolvenzvorschriften als eines der bedeutsamsten Hindernisse für den freien Kapitalverkehr in der EU und eine stärkere Integration der EU-Kapitalmärkte angesehen. Das Insolvenzrecht wurde vom Europäischen Parlament, dem Rat, der Kommission und der Europäischen Zentralbank gemeinsam als wesentliche Grundlage zur Verwirklichung einer veritablen Kapitalmarktunion hervorgehoben – über diese Zielsetzung herrscht weithin auch in der Insolvenzbranche Konsens.

Erreicht: länderübergreifende Regelungen für international tätige Unternehmen in der Insolvenz

Auch die Experten und Expertinnen der Podiumsdiskussion des BDU und der Distressed Ladies waren sich einig, dass diese europäische Zielsetzung nachvollziehbar und eine Harmonisierung des Insolvenzrechts in Europa auf dem Weg zur Kapitalmarktunion erforderlich ist.

Mit der EU-InsVO konnten Regelungen zu Gerichtszuständigkeiten bei länderübergreifenden Verfahren und deren Anerkenntnis in den Mitgliedstaaten und zur Koordination von Partikularinsolvenzverfahren geschaffen und umgesetzt werden.

Durch den präventiven Restrukturierungsrahmen sollte eine frühzeitige Restrukturierung in allen Ländern ermöglicht werden. Hier bestand unter anderem deshalb Regelungsbedarf, damit dem sog. Forum-shopping – dem Insolvenztourismus – Einhalt geboten werden kann. Die Regelungen des präventiven Restrukturierungsrahmens erweitern das Restrukturierungsinstrumentarium und haben Gläubigerschutz und Arbeitnehmerschutz im Fokus. In Deutschland sind die Regelungen aus der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, der Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren durch das StaRUG umgesetzt worden. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass die Regelungen des StaRUG immer mehr Bedeutung im nationalen und europäischen Restrukturierungsgeschehen gewinnen.

Mit der vorliegenden Harmonisierungsrichtlinie sollen nun erstmalig materielle Aspekte des Insolvenzrechts harmonisiert werden.

Vermisst: Harmonisierung der Insolvenzgründe und der Rangfolgen unter ungesicherten Insolvenzforderungen

Kritisch beleuchtete die Expertenrunde zunächst das Zustandekommen der Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts. Die Teilnehmer bemängeln, dass sich die Regelungen des aktuellen Richtlinienentwurfs teilweise erheblich widersprechen und zum Teil praxisfern sind. In diesem Zusammenhang monierte Alexander Bornemann, dass an dem Entwurf zwar eine Expertenkommission mitgearbeitet habe, allerdings die nationalen Stellen in den Mitgliedstaaten nicht – wie bei der vorhergehenden Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen – in die Entwurfserarbeitung miteinbezogen bzw. vorher gehört worden sind. Insofern stimmten auch die weiteren Podiumsteilnehmer Sylvia Fiebig, Oliver Kehren und Jutta Rüdlin zu, dass hierdurch praxisferne Vorschläge wie insbesondere die Regelungen für Kleinstunternehmen, Titel VI des Richtlinienentwurfes, hätten vermieden werden können. Die Regelungen zum pre-pack-Verfahren, Titel IV, widersprechen teilweise sogar den Vorgaben der Richtlinie des präventiven Restrukturierungsverfahrens, die erst seit wenigen Jahren in den meisten Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt worden ist.

Eine sinnvolle Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechtes benötigt zum Erreichen einer funktionierenden Kapitalmarktunion wesentlich eine Harmonisierung der Eintrittsvoraussetzungen und der verfahrensrechtlichen Grundprinzipien und damit auch der Rangfolgen der ungesicherten Insolvenzforderungen. Fehlen diese, sind Systembrüche in den Mitgliedsstaaten die Folge.

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren sind einig, dass die Harmonisierung dieser grundlegenden Themen eine sehr große Herausforderung für Europa und seine Mitgliedstaaten mit ihren unterschiedlichen Insolvenzregimen darstellt.

Die Quintessenz der Expertenrunde lautete: Eine Harmonisierung der Insolvenzgründe und der Rangfolgen war politisch in den Mitgliedstaaten aktuell nicht umsetzbar. Eine Harmonisierung des europäischen Insolvenzrechts ist wünschenswert, bedarf aber einer anderen Herangehensweise als die bei Erarbeitung des aktuell vorliegenden Richtlinienentwurfes gewählten. Auch wenn gegen die ebenfalls in dem Richtlinienentwurf vorgesehenen Regelungen, wie z.B. die Regelungen zum Anfechtungsrecht, den Geschäftsführerpflichten, dem Asset-Tracing und den Gläubigerausschüssen aus deutscher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, kann man sich die Umsetzung des Richtlinienentwurfes in der jetzigen Fassung nicht wünschen.

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